Arsenal Summer School 2022
Das Unikat im Zeitalter der Ubiquität
17.–19. August 2022, im Kino Arsenal und silent green
Erneut bietet das Arsenal – Institut für Film und Videokunst im August seine Summer School an. An drei Tagen setzen sich 25 Teilnehmer*innen, Mitarbeiter*innen des Arsenals sowie eingeladene Gäste mit Themen an der Schnittstelle von Theorie und Praxis auseinander.
Das Arsenal-Archiv enthält mehr als 10.000 analoge Filmkopien aus der Geschichte des unabhängigen Kinos weltweit. Es entstand aus einer lebendigen Kino- und Festivalpraxis und ist damit ein Abbild internationaler filmkultureller Verbindungen. Wenn die Filme etwas miteinander verbindet, dann ist es eine Praxis des Widerstands, ästhetisch, kulturell, politisch. Gleichzeitig ist jeder Film singulär, auch mit Blick auf seine Produktions- und Rezeptionsschichte. Was, wenn eine Kopie sich gar als Unikat erweist? Und das in einer Zeit, in der digitale Verfügbarkeit einem Film überhaupt erst einen Platz im öffentlichem Bewusstsein verleiht? Im Rahmen der 13. Summer School werden Unikate gesichtet, erforscht und diskutiert: Welche Relevanz haben sie in der Gegenwart und welcher Handlungsbedarf ergibt sich daraus? Um die Erfahrung der ersten gemeinsamen Sichtung nutzbar zu machen, werden die Titel von drei Unikatkopien vor der Vorführung nicht bekannt gegeben. Im Abendprogramm zeigen wir Filme, die durch digitale Restaurierung bereits wieder verfügbar wurden.
Mit Marina Carvalho, Gesa Knolle, Kornelia Kugler, Annette Lingg, Petna Ndaliko Katondolo, Bert Rebhandl, Markus Ruff, Lena Siebertz, Shelly Silver und Stefanie Schulte Strathaus.
Die Veranstaltungen finden teils in deutscher, teils in englischer Sprache statt.
Anmelden können sich alle Interessierten unter summerschool(at)arsenal-berlin.de
Die Teilnehmer*innenzahl ist begrenzt.
Anmeldeformular als PDF zum Download
Programm als PDF zum Download
Programm
Mittwoch, 17.8.
9:30 Uhr, silent green
Ankunft und Begrüßung
10–12 Uhr, silent green
Das Archiv: Wenn Filme sich versammeln
Stefanie Schulte Strathaus, Markus Ruff (Arsenal)
Gäste: Kornelia Kugler und Lena Siebertz
Zur Eröffnung und Einführung ins Thema geben wir Einblick in die Archivräume, aber auch in die Praxis einer Archivarbeit, die von neuen Entdeckungen und Erkenntnissen sowie daraus folgenden Recherche- und Entscheidungsprozessen geprägt ist. Zwei Fallbeispiele werden näher beleuchtet: NOW! (Santiago Álvarez, Kuba 1965, 6 min) und MONANGAMBEEE (Sarah Maldoror, Algerien 1969, 15 min).
Monangambeee! ist ein Ausruf, mit dem Aktivist*innen der antikolonialen Befreiungskämpfe in Angola Dorfversammlungen einberufen haben. MONANGAMBEEE ist auch ein Kurzfilm von Sarah Maldoror, der die portugiesische Ignoranz gegenüber der angolanischen Kultur und die Erniedrigung durch Kolonialmächte thematisiert, sowie ein Film über Solidarität und Widerstand. Eine Kopie des Films verblieb nach seiner Aufführung im Forum 1971 in der Sammlung des Arsenal.
Im Rahmen des Projekts Living Archive – Archivarbeit als künstlerische und kuratorische Praxis der Gegenwart (2011-2013) erarbeitete die Künstlerin, Filmemacherin und Theoretikerin Hito Steyerl mit Studierenden ihrer Fachklasse an der UdK Berlin Arbeiten für die Ausstellung NOW! (Extended). Der Fokus lag auf dem Film NOW! (1965) des kubanischen Regisseurs Santiago Álvarez, ein aus Standfotos zusammengesetzter Montagefilm über die Diskriminierung von Schwarzen in den USA, rhythmisch geschnitten nach dem gleichnamigen Lied. Die Ausstellung stellte die Frage nach der heutigen Relevanz des Films im digitalen Zeitalter, in dem Bilder und Töne immer mobiler und Aneignung und Piraterie alltägliche Mittel der Kommunikation sind. Die Arbeiten der Ausstellung kreisen um die Reise der in NOW! verwendeten Bilder und Töne und projizieren ihren Weg in die Zukunft.
Die ehemaligen UdK-Absolventinnen Kornelia Kugler und Lena Siebertz sprechen über ihr in diesem Rahmen entstandenes Projekt.
12 Uhr, silent green
Mittagessen im Restaurant Mars
14–16:30 Uhr, Kino Arsenal
ARSENAL von Alexander Doschwenko. Ein Revolutionsfilm zwischen Universalismus und Patriotismus
Vortrag von Bert Rebhandl und Filmvorführung: ARSENAL (Alexander Dowschenko, UdSSR 1928, 92 min)
Anschließend Diskussion
ARSENAL von Alexander Doschwenko ist zwar kein Unikat im Arsenal-Archiv, dennoch nimmt der Film als Namensgeber eine einzigartige Stellung ein. Bert Rebhandl unterzieht ihn einer Neubetrachtung: "Der Film ARSENAL trägt einen Widerspruch im sowjetischen Revolutionskino aus, der 2022 durch den russischen Imperialkrieg in der Ukraine wieder aufbrach: Notizen zur Gegenwärtigkeit eines Klassikers.“
Bert Rebhandl, geboren in Oberösterreich, lebt in Berlin als freier Journalist, Autor und Übersetzer. Texte für FAZ, tipBerlin, Der Standard u.v.a. Mitherausgeber von CARGO Film Medien Kultur (www.cargo-film.de). Webseite: www.BRO198.net
17–19 Uhr, silent green
There’s a Strong Wind. Exil im Filmarchiv des Arsenals
Gesa Knolle und Annette Lingg (Arsenal)
Ein Filmarchiv ist nicht nur ein Aufbewahrungsort für Filmkopien, es ist ein Ort für Erzählungen und Gegenerzählungen, ein kulturelles Gedächtnis. Und es kann noch viel mehr sein: ein sicherer Hafen, ein Schutzraum, gar eine „Heimat“ für Filme aus aller Welt, die sich dort begegnen. Von den über 10.000 Kopien, die im Archiv des Arsenals seit den 60er Jahren zusammengetragen und gesammelt wurden, kamen nicht wenige über verschlungene Wege zu uns. Für einige Kopien wurde das Arsenal-Archiv zu einem veritablen Zufluchtsort, weil die Filme in ihren Produktionsländern nicht öffentlich gezeigt werden durften, verboten waren oder den Regisseur oder die Regisseurin in Gefahr brachten. Einige dieser Filme stellen wir in einer im Rahmen von „Archive außer sich“ entstandenen Broschüre vor und zeigen eine Auswahl davon im Kino.
Filmvorführung: THERE’S A STRONG WIND IN BEIJING (Ju Anqi, Volksrepublik China 2000, 50 min)
Frühling 1999 in Beijing, der 50. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik steht vor der Tür. Zusammen mit zwei Crewmitgliedern und einer 16-mm-Kamera wendet sich Ju Anqi in seinem Debüt mit der simplen Frage nach den Windverhältnissen in der Stadt direkt an die Bewohner*innen und erhält ebenso skurrile wie vielsagende Antworten. Der 50-minütige Film zeigt alles, was gefilmt wurde, in Gänze, ohne Auslassung. Er feierte 2000 beim Internationalen Forum des Jungen Films seine Uraufführung und steht in seiner Direktheit für ein neues, experimentelles chinesisches Filmschaffen in jener Zeit.
19:30 Uhr, silent green
Gemeinsames Abendessen im Restaurant Mars (im Preis inbegriffen)
Donnerstag, 18.8
10–11:30 Uhr, Kino Arsenal
Vorführung und Diskussion: KUMBUKA, Regie: Petna Ndaliko Katondolo (USA, Niederlande, Demokratische Republik Kongo 2021, 59 min)
KUMBUKA ist ein vielschichtiger Film, der sich mit der Geschichte und dem Erbe der kolonialen Sicht auf Afrika auseinandersetzt. Er erzählt von zwei aufstrebenden afrikanischen Filmemacher*innen und ihren Schwierigkeiten damit, einen hochgelobten, aber umstrittenen niederländischen Film, der von ihnen selbst handelt, neu zu schneiden. Als die Hauptcharaktere dieses Films hatten sie ihn öffentlich für seine eurozentrische Perspektive kritisiert, die ihrer Meinung nach ihre Geschichte verzerrte. Nachdem ihnen die Produktionsfirma des Films das Originalmaterial zur Verwendung angeboten hat, sehen sie sich zugleich mit der Chance konfrontiert, ihre aufkeimende Filmkarriere zu starten sowie mit den immer noch aktuellen Machtfragen, die sich bei filmischen Darstellungen von Afrika stellen. Ihre Bemühungen um eine Neubearbeitung werden mit zwei widersprüchlichen Sammlungen von Archivmaterial verwoben, die eine Metakritik sowohl am kolonialen Projekt als auch an der afrikanisch-futuristischen Bewegung, die im Kongo im Zuge von Petna Katondolos laufendem Projekt RECORDING AESTHETICS zunimmt, formulieren.
12–13:30 Uhr, Kino Arsenal
Vorführung: Das unbekannte Unikat (1)
Respondent: Petna Ndaliko Katondolo
Petna Ndaliko Katondolo lebt aktuell in Goma und Chapel Hill und ist als Filmemacher, Aktivist und Dozent tätig. 2000 gründete er Yole!Africa und 2005 das Salaam Kivu International Film Festival.
14:30–16 Uhr
Mittagspause
16–18:30 Uhr, Kino Arsenal
Vorführung: Das unbekannte Unikat (2)
Respondentin: Marina Carvalho
Marina Carvalho ist Creative Producer, Wissenschaftlerin und Kuratorin und lebt in São Paulo. Im Jahr 2021/2022 erhielt sie das Bundeskanzler-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung. Ihre Forschung am Arsenal konzentrierte sich auf kuratorische Praktiken, was zu dem Programm „Brazilian Mythscapes“, das im August 2022 im Kino Arsenal präsentiert wird, führte.
18:30–20 Uhr
Abendessen
20 Uhr, Kino Arsenal
Filmvorführung: LA EXPROPIACIÓN (Die Enteignung, Raúl Ruiz, Chile 1974, 63 min)
Die filmische Beschäftigung mit der Landreform der Unidad Popular thematisiert den Zusammenprall von politischen Ideologien und der Realität – Widersprüche, die aus Generalisierungen entstehen. Die Geschichte um einen Gutsbesitzer, der seine Grundstücke noch vor der Agrarreform an seine Arbeiter übertragen will, wird auf unterschiedlichen Ebenen erzählt und immer wieder unterbrochen. In die Sympathie über die Ideen und den Optimismus der Politik mischt sich Spott. 1971 in Chile gedreht, wurde die Arbeit an LA EXPROPIACIÓN durch Ruiz’ Exil unterbrochen. Er kam nach dem Putsch 1973 zuerst in die BRD und später nach Paris, wo der Film fertiggestellt und 1974 uraufgeführt wurde.
Freitag, 19.8.
10–11:30 Uhr, Kino Arsenal
Vorführung: Das unbekannte Unikat (3)
Respondents: Die Teilnehmer*innen der diesjährigen Summer School
12:15 Uhr, silent green
Mittagessen im Restaurant Mars
13:15–14:15 Uhr, silent green
Gruppenarbeit der Teilnehmer*innen
Gefundene Materialien zu Unikat 3 werden zur Verfügung gestellt.
14:30–15:30 Uhr, silent green
Präsentation der Ergebnisse
15:30–16:30 Uhr, silent green
Abschlussdiskussion
16:45–17:30 Uhr, silent green
Vinegar Surprises
Präsentation von Shelly Silver
Die Ursache für den Zerfall von Azetat-Filmmaterial ist das „Essig-Syndrom“, ein chemischer Zersetzungsprozess, der, einmal begonnen, nicht aufzuhalten ist. Da befallene Kopien „ansteckend“ sind, werden sie isoliert und aus dem Verkehr gezogen. Auch im Archiv des Arsenals liegen zahlreiche Filmkopien in Quarantäne. Shelly Silvers Filme "This Film" und "Turn" sind derzeit im Rahmen des Stoffwechsel-Projekts einem kontrollierten Essig-Syndrom-Befall ausgesetzt.
Shelly Silver ist eine New Yorker Künstlerin, deren Arbeit sich dem unbewegten und bewegten Bild widmet. Ihre Arbeit erkundet den Grenzbereich zwischen Öffentlichem und Privatem, Erzählerischem und Dokumentarischem sowie zwischen Beobachter und Beobachtetem.
17:30 Uhr, silent green
Drinks
Anmeldung
Die Teilnehmer*innenzahl ist auf 25 Personen begrenzt. Plätze werden nach Eingang der Anmeldungen vergeben. Teilnahmegebühren: 145 Euro / 125 Euro (Mitglieder, Studierende, Berlin-Pass) / 105 Euro (Mitglieder im Arsenal Freundeskreis)
Anmeldeschluss: 5. August 2022
Kontakt
Angelika Ramlow | Projektkoordination
Mittwoch, 17. August–Freitag, 19. August
Atelier 2
Mehr Informationen hier