M_Dokumente, all about MANIA D., MALARIA!, MATADOR

Festival 21.- 24.10.2021

Das Projekt M_Dokumente nimmt die explizit weibliche Sichtweise der All Female Bands Mania D., Malaria! und Matador auf die West-Berliner Musik- und Kunstszene der späten 1970er und 1980er Jahre mit einem langen Festivalwochenende in den Fokus.

Die drei Bands um Beate Bartel, Bettina Köster und Gudrun Gut spielten ab 1979 in unterschiedlicher Zusammensetzung Konzerte, veröffentlichten Platten und tourten um die ganze Welt. Herausstechend und neu war vor allem das selbstbestimmte Auftreten der Musikerinnen, das sich sowohl in der Musik und den Texten, aber auch in ihrem einzigartigen Stil und dem genreübergreifenden Ansatz „Mehr Kunst in die Musik, mehr Musik in die Kunst“ wiederfand. Bis heute gelten die Bands als visionär, sie prägten ein neues Frauenbild in der Popkultur und sind Vorreiterinnen und Vorbild für die nach wie vor wichtige und notwendige emanzipatorische Bewegung in der Musikbranche, weit über die Grenzen Berlins hinaus.
 

Donnerstag, 21.10. Eröffnung
Ab 18 Uhr Ausstellung
Ab 20 Uhr M_DOKUMENTE BOOK LAUNCH (Ventil Verlag)
EIn Buch über Mania D. Malaria!, Matador mit Texten Fotos, Flyer und Interviews
Talk: Robert Defcon mit Beate Bartel, Bettina Köster, Gudrun Gut
+ DJ Christian Baumjohann (archivB)

Freitag, 22.10.
Ab 18 Uhr Ausstellung
Ab 20 Uhr M_SESSIONS RECORD LAUNCH (Monika/Moabit Musik)
MONIKA WERKSTATT plays M_Session (Mania D., Malaria!, Matador) - Live
Mit Anika, Midori Hirano, Natalie Beridze, Pilocka Krach, Islaja

Samstag, 23.10.
Ab 18 Uhr Ausstellung
Ab 20 Uhr Malaria! 40 years Birthday Bash
Talk mit Christine Hahn
Konzerte von Melissa E. Logan and Alex Murray-Leslie von Chicks on Speed, Die Mücken und mehr.
+ DJ Maria Colours

Sonntag, 24.10. FINISSAGE
Ab 16 Uhr Ausstellung
Ab 17 Uhr M_DOKUMENTE auf Video und Film
Ab 18 Uhr DJ Mark Reeder


M_Dokumente | Die Werkstatt der Frauen

Aus einem Keller am Paul-Lincke-Ufer, in einer Stadt, die es nicht mehr gibt, schallt abends Lachen, Geschepper und Geschrei. In dem unterirdischen Bretterverschlag experimentieren Mania D. mit Sounds und Grooves. Diese erste gemeinsame Werkstatt wird zum Urknall eines neuen Selbstverständnisses von Frauen in der Musik. Der rhizomatische Quellcode des daraus entstehenden Multiversums wird nun erstmalig offengelegt: Der opulente 96seitige Katalog M_Dokumente (Ventil Verlag) mit einem Vorwort von Diedrich Diedrichsen versammelt Fotos, Dokumente, O-Töne, Interviews und aktuelle Testimonials. Die beiden neuen M_Session-Tonträger (Monika/Moabit) mit alten Raritäten von Mania D., Malaria! und Matador und neuen Versionen aus der Monika Werkstatt bilden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des M_Multiversums ab. Auf einem viertägigen Festivalwochenende im silent green werden die Dokumente geleaked - abgerundet von einem Diskussionspanel, Video-Artefakten sowie Live- und DJ-Musik.

Mania D. werden im August 1979 von Bettina Köster, Gudrun Gut und Beate Bartel als Kernbesetzung sowie Karin Luner und Eva Gössling gegründet. Ihre Heimatstadt, Westberlin, ist ein grauer Ort, eingeschlossen von der Mauer, voller Brachflächen und Einschusslöcher, spröde und trist – fernab von Machtzentralen und Kapital-Verwertungsströmen, die das Stadtbild heute vielerorts prägen. Krawall, Besetzerdemos und Räumungen bestimmen den politischen Alltag. Es herrscht eine diffuse Angst vor dem Atomkrieg. Das ist die Glocke, die über Westberlin hängt. „Die Welt wird untergehen – komm, Darling, lass uns tanzen gehen“ bringen Mania D. die Stimmung und ihre gelöste Haltung dazu auf den Punkt. Ein rarer Live-Mitschnitt des Stücks und die neue Dancefloor-Version von Monika Werkstatt, die wie ein Soundtrack zu unserer Gegenwart klingt, sind auf den neuen M_Sessions-Tonträgern zu hören.

In der Westberliner Gegenwelt suchen aus Westdeutschland zugereiste Wehrdienstverweigerer, Studenten, Lebenskünstler und Aussteiger aus den gepflegten Kleinstädten und Vorgarten-Siedlungen der westdeutschen Provinz in einer mietpreis-gebundenen Wohnung für 80 Mark oder in einem der über 100 besetzten Häuser das andere Leben und den neuen Menschen. Der Selbstverwirklichungsdrang von Hippies und grüne Öko-Esoterik sind den jungen Frauen freilich genauso fremd wie bandwurmartige WG-Debatten um Abwasch und Klassenbewusstsein. Sie wollen machen, nicht labern. Es will etwas zur Welt kommen, – und das ist blutig und schreit.

Kurz nach den ersten Kellersessions gibt es schon Live-Auftritte, und bereits im Herbst 1979 ist der neue teutonische Sound aus Deutschland in New York zu hören, wo die NoWave-Szene den Weg für ihre Experimente geebnet hat. Ein großer Auftritt beim Frauenfestival in der Berliner Schwulendisco Metropol gerät im Juli 1980 hingegen zum Eklat. Der androgyne Look, die wavigen Kurzhaare, Springer-Stiefel und Reithosen und atonal-ekstatische Grooves stoßen auf Unverständnis. Sie werden ausgepfiffen, als Nazi-Bräute beschimpft. Im Publikum kommt es zur Schlägerei. „Die haben wohl ein Blockflötenkonzert erwartet“ bemerkt Gut später trocken. Die neuen Formen brechen Geschlechterklischees auf, die authentischen weiblichen Ausdruck auf ätherisch beseeltes Singen zu Klampfe und Kerze reduzieren. Mania D. sind ganz woanders. Dort, wo es weh tut.

Ebenso spontan wie Mania D. entstanden, wird die Band bereits im Dezember 80 wieder aufgelöst. Identitäten bleiben fluide, Konstellationen werden ausprobiert und mutieren zu neuen Strukturen. Bartel produziert nun gemeinsam mit Chrislo Haas und Krishna Goineau als Liaisons Dangereuses den für EBM, Chicago House und Detroit Techno stilprägenden Underground-Hit „Los Niños del Parque“, kollaboriert aber bereits wenig später beim längjährig produktiven Studio-Projekt „Matador“ wieder mit Gudrun Gut - und Manon Duursma vom Nina-Hagen-Projekt O.U.T. Letztere wirkt ihrerseits bei der von Gut und Köster flugs 1981 mit Christine Hahn und Susanne Kuhnke gegründeten Formation Malaria! mit. Die song-orientierte Mania-D-Mutante wird zur bis in die Gegenwart international erfolgreichsten deutschen All-Girl-Band.
Mit ihrer ungeheuer vielseitigen, oft rauhen, dunklen Stimme und zunächst deutschsprachigen Texten findet Bettina Köster mit den tanzbaren Malaria!-Grooves zu einer sinnlichen, schmerzvollen, manchmal witzigen und gelegentlich verstörenden Sprache. Das löst noch 40 Jahre später Schockwellen aus. Der Titel „Geh duschen – ab in die Fabrik“ inszeniert die deutsche Tätergrimasse – und begibt sich mit dem nachgeschobenen „wart, ich komme mit“ zugleich in ein Miteinander, das es nicht gibt. Der spätere Welterfolg „Kaltes klares Wasser“ hingegen lässt Kaltes, Klares, gleichsam männlich-Analytisches als lebensspendendes Wasser sinnlich über Hände, Arme, Beine, Schenkel und Brust laufen. Malaria! verschmelzen die kühle, krypto-soldatische Mann-Maschine von Zeitgenossen Kraftwerk mit ozeanischem Gefühl und weiblicher Körperlichkeit. In diesem Akt der Appropriation verflüssigt sich das starre Korsett der Geschlechterdifferenz. Das ist ein Kern der emanzipatorischen Erschütterung, die die drei M-Bands auslösen. 

Trotz hunderter weltweit zwischen 1981 und 1984 gespielter Konzerte, John-Peel-Session und documenta-Auftritt bleiben Malaria! industriefern. Es schaudert den männlichen Wächtern über die Vertriebsnetze vor den wilden, phallischen Über-Frauen, die womöglich gar Männer auspeitschen – ungeachtet selbst ihrer zärtlichsten Worte der Hingabe. Männliche Erniedrigungs-Fantasien, mit denen die Frauen spielerisch umgehen. Schließlich war es nie das Ziel, in einer Welt von Klampfen-Gabis, Label-Gängelung und Casting-Bands zu einem vermarktbaren Produkt zu werden.
Stattdessen entstehen unter liebevoller Pflege von Gudrun Gut mit Moabit Music und Monika Enterprise eigene, autonome Label-Strukturen mit zahlreichen Veröffentlichungen von Projekten wie Contriva, Cobra Killer, Barbara Morgenstern und Gut selbst. Und mit Monika Werkstatt entsteht schließlich ein offener Produktions- und Experimentierzusammenhang, der bis in Gegenwart und Zukunft trägt. Denn Ziel war, ist und bleibt es, die Welt zu verändern. Noch Jahrzehnte nachdem die letzten Klänge von Mania D., Malaria! und Matador verhallt sind, wummert, britzelt und kracht es in der Werkstatt der Frauen.

Robert Defcon