The Garden. Kinematografien der Erde

Das Ausstellungsprojekt THE GARDEN. KINEMATOGRAFIEN DER ERDE widmet sich dem Leben und Werk des britischen Filmemachers, Künstlers und Aktivisten Derek Jarman. Dessen gleichnamiger Film The Garden sowie sein legendärer Garten Prospect Cottage werden zum Ausgangspunkt für eine zeitgenössische künstlerische Auseinandersetzung mit essentiellen Fragen unserer Gesellschaft und ihrer Zukunft: Umweltverschmutzung und Krankheit, Kollektivität und Widerstandskraft.

Die Ausstellung in der Betonhalle knüpft auf vielfältige Weise an die besondere Topografie und das utopische Potential von Jarmans Garten an der Südküste Englands an: Filmaufnahmen, Objekte, Tagebücher und Gemälde zeigen Fragmente seines letzten Wohnortes Prospect Cottage, den der 1994 an den Folgen einer HIV-Infektion verstorbene Filmemacher in direkter Nachbarschaft zu einem Atomkraftwerk und einer Militärbasis anlegte. Er schuf sich dort einen ganz besonderen Sehnsuchtsort des kollaborativen Zusammenlebens von Menschen und Natur, der ihm Zuflucht vor einer zunehmend destruktiven und diskriminierenden Gesellschaft bot und der bis heute eine Pilgerstätte für tausende Besucher*innen aus der ganzen Welt ist.
The Garden (1990), entstanden vor dem Hintergrund des AIDS-Aktivismus und der Anti-Atomkraftbewegung, nimmt die Widersprüchlichkeit dieses Ortes zum zentralen Thema: Zwischen Traum und Realität, Idylle und Schmerz, Schönheit und Vergänglichkeit, gerät die Natur zur Analogie des schleichenden Verfalls des menschlichen Körpers im Kontext von Klimawandel, Krankheit und Zerstörung.

Zeitgenössische Künstler*innen aus verschiedenen Ländern und Weggefährt*innen Jarmans setzen sich in eigens für dieses Projekt konzipierten Sound– und Medieninstallationen sowie in begleitenden Gesprächen und Workshops mit seinen Bildwelten und Themen auseinander. Ein Filmprogramm zeigt weitere Werke Derek Jarmans, außerdem queere, feministische, experimentelle und politische Filme aus den 1980er und 90er Jahren und der Gegenwart im Kino Arsenal und im Garten des silent green.

THE GARDEN. KINEMATOGRAFIEN DER ERDE hat zum Ziel, neue Formen der Bildproduktion mit und für die Erde zu entwickeln und von ihren Zyklen der Schöpfung und des Zerfalls, ihrer Widerständigkeit und Fähigkeit zur Heilung zu erzählen.

 

Mit: Derek Jarman, Mareike Bernien und Alex Gerbaulet, Dagie Brundert, CHEAP Art Collective, Peter Cusack, Inas Halabi, Philip Scheffner, Kerstin Schroedinger und Oliver Husain, Howard Sooley
Club des Femmes (So Mayer, Selina Robertson), Heather Davis, Peter Fillingham, Bishnupriya Ghosh, Bhaskar Sarkar, Annie Symons, Mary Katharine Tramontana, Rehana Zaman und Ed Webb-Ingall

Mit Unterstützung von Amanda Wilkinson Gallery, James Mackay und Keith Collins Will Trust.

 

Ausgestellte Arbeiten

BLACK PAINTINGS
Derek Jarman / Mixed-Media-Collagen / 1987–1990

Bevor er Filmemacher wurde, studierte Derek Jarman bildende Kunst. Während seiner letzten Jahre, in denen er gegen AIDS kämpfte, kanalisierte er einen Großteil seiner Energie in die Malerei. Die Ausstellung zeigt einige von Jarmans „Black Paintings“, kleine Leinwände, die er zwischen 1987 und 1990 in Dungeness an der Südküste Englands, seinem letzten Wohn- und Schaffensort, malte. Die Mixed-Media-Collagen setzen sich aus Glasscherben, poetischen Kritzeleien oder am Strand gesammeltem Treibgut zusammen.
Leihgaben der Amanda Wilkinson Gallery, mit Dank an den Keith Collins Will Trust.

DEREK JARMAN
Howard Sooley / Fotoreihe / 1990–1994

Im Jahr 1990 wurde Howard Sooley beauftragt, Derek Jarman auf Prospect Cottage zu fotografieren. Er wurde bald ein regelmäßiger Besucher in Dungeness und besuchte Jarman bis zu seinem Tod. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl von Fotografien von Howard Sooley, die im Garten und in den letzten Lebensjahren von Derek Jarman entstanden sind. (Tbc)

DIE SONNE LIEGT IM ERDINNERN
Mareike Bernien & Alex Gerbaulet / Video Installation / 2021

Die sowjetische Aktiengesellschaft SAG Wismut baut von 1946 bis 1990 in Sachsen und Thüringen Uran für das Atomwaffenprogramm der UdSSR ab. Oben strahlt der Sozialismus in die Zukunft, aus der aufgerissenen Erde strahlt ein uraltes Gestein. Ausgehend von der Karte ehemaliger Wismutgebiete bewegen wir uns horizontal in den heutigen, von Abbau und Sanierung geprägten Landschaften und vertikal durch den Boden als Archiv. Tiefenbohrungen durch Raum und Zeit, spüren den sedimentierten Narrativen nach, die das Element Uran materiell, metaphorisch und geopolitisch umgeben. Wie sucht das Uran die Landschaften heim? Welche Biographien umgeben seine Ausgrabungen? Wie strahlt es in seinen Aufzeichnungsmedien nach?

DNCB
Kerstin Schroedinger & Oliver Husain /
Performance, Lecture, 16mm-Film, Video- und Tonaufnahmen / 2019
Die Geschichte der chemischen Substanz DNCB ist der Ausgangspunkt für unser Projekt. DNCB wurde in Film- und Fotolabors als Bestandteil der Farbverarbeitung eingesetzt. Es konnte noch in den 1990er-Jahren leicht über Kodak in den USA bestellt werden. Im Jahr 1986, während der sogenannten AIDS-Krise, entdeckten Ärzt*innen und Patient*innen in San Francisco durch Selbstversuche, dass DNCB auf der Haut eine positive Wirkung auf das Immunsystem hatte und eine Behandlungsmethode für Kaposi-Sarkom darstellte. Sie engagierten sich für die medizinische Erforschung der Substanz und gründeten die ersten unabhängigen Guerilla-AIDS-Kliniken.
Aus unserer Recherche haben wir eine experimentelle installative künstlerische Arbeit entwickelt, die Materialexperimente, historische Forschung und Performance miteinander verflicht und Verbindungen zwischen Selbstmedikation und unabhängigen Filmentwicklungslaboren zieht.
Der Aufenthalt von Oliver Husain in Berlin wurde ermöglicht durch das Residenzprogramm des Goethe Instituts.

DUNGENESS RECORDINGS
Peter Cusack / Audio Recordings / 2003/2007/2021

Dungeness ist ein ganz besonderer Ort mit einer einzigartigen Ökologie und Geschichte. Die windgepeitschte Landzunge, die im Südosten Englands in den Ärmelkanal ragt, war lange Zeit eine wichtige Migrationsroute für Wildtiere und Menschen und stand an vorderster Front der sich ständig verändernden Beziehungen Großbritanniens zu Europa. Heute koexistieren hier ein Atomkraftwerk, Leuchttürme für die Schifffahrt, eine Miniatureisenbahn, Schießstände der Armee, Betonschallspiegel aus den 1920er Jahren, die gebaut wurden, um ankommende Flugzeuge aufzuspüren, Ferienlager und ein weltbekanntes Naturschutzgebiet Seite an Seite mit der örtlichen Gemeinde. 1 Million Menschen besuchen es jährlich. Die Geräuschkulisse spiegelt diese Eigenschaften und mehr wider. Peter Cusacks Aufnahmen aus den Jahren 2003/2007 umfassen Schießübungen, Wasservögel, Nebelsignale sowie Steine, die vor den Klangspiegeln aneinander geklopft werden, um reflektierende Echos zu erzeugen. Während der ersten Ausstellungstage wird Peter Cusack erneut vor Ort in Dungeness sein, um die Klanglandschaft dieser einzigartigen Landschaft zu erforschen (Aufnahmen und Audio-Übertragung) und mit den Menschen dort zu sprechen.

GARTENARBEIT
Bettina Ellerkamp, Jörg Heitmann & Philip Scheffner / Installation mit 12 Projektoren und Recherchetisch / 2021

In einem raumgreifenden Experiment lösen wir den Film The Garden von Derek Jarman aus seinem klassischen Vorführkontext und transponieren ihn als Filmkörper auf 12 Projektionen in den Raum der Betonhalle des silent green, ehemalige Leichenlagerhalle des Krematorium Wedding. Am Fuße der einstigen Gerichtsmedizin sezieren wir den Film, wir zerlegen ihn in seine Bestandteile und versuchen so, der Komplexität und Struktur seines Schaffens auf den Grund zu gehen. Wir suchen nach Orientierung, graben, schichten um, legen frei.
THE GARDEN – dieser Garten kann nicht von einer festen Perspektive aus erfasst werden. Er will mit allen Sinnen erfahren werden. Wir tauchen ein in das Universum von Derek Jarman, umfangen von der Wucht und Kraft seiner Arbeit. Wir setzen uns in Bewegung, um Details zu entdecken, versteckte Wege zu gehen, neue Pfade zu legen. Jede*r entdeckt und sieht etwas anderes, wir suchen nach Orientierungspunkten, verlieren uns in einer Welle von Details und finden uns wieder jenseits der vorgegebenen Koordinaten von Raum und Zeit.
Der Tag geht, der Film beginnt…
March – Tuesday 7 
„The gardener digs in another time, without past or future, beginning or end. A time that does not cleave the day with rush hours, lunch breaks, the last bus home. As you walk in the garden you pass into this time – the moment of entering can never be remembered. Around you the landscape lies transfigured. Here ist the Amen beyond the prayer.“ Derek Jarman, Modern Nature

CHEAP presents: NORMALITY YOU WAITING ROOM FOR NOTHING
Concept and Installation: Susanne Sachsse, Şenol Şentürk, Martin Siemann
Music: Xiu Xiu
Lyrics: Susanne Sachsse
Voice: Vaginal Davis, Susanne Sachsse, Angela Seo, Marc Siegel, Jamie Stewart
Das in 2001 in Berlin gegründete CHEAP Art Kollektiv, das in seinen musikalischen Perfomances queer-ästhetische und -poetische Perspektiven auf die Geschichtsschreibung präsentiert, wird auch für „The Garden“ eine musikalische Arbeit entwickeln:  Eine Klang- und Lichtinstallation mit Tisch, Holzstangen, Hornlautsprechern und Knochensound im Garten und der Betonhalle des silent green.

WE HAVE ALWAYS KNOWN THE WIND'S DIRECTION
Inas Halabi / 2019–2020 / Video und Diaprojektion von 80 Rotfilterbildern
Die Arbeit ist eine Videoinstallation, die aus einer Kombination von Gesprächen, Interviews und Aufnahmen vor Ort besteht. Nach Recherchen eines ansässigen Atomphysikers untersucht die Arbeit die mögliche Einlagerung von Atommüll und das Bestehen von menschlich verursachter Strahlung im Süden des Westjordanlandes. Durch den Einsatz roter Plastikfolien vor der Kameralinse werden unterschiedliche Rottöne erzeugt, um die Grade der Radioaktivität sichtbar zu machen. Das unsichtbare aber tödliche Isotop Cäsium-137 könnte dabei als Synekdoche für eine noch ungreifbarere Unsichtbarkeit gesehen werden - die systematischen Netzwerke von Macht und Herrschaft in der Region - und diese Arbeit als Meditation darüber, wie man dem Nicht-Filmbaren, aber Unaufhaltsamen Rechnung trägt.


Rahmenprogramm

In Gesprächen mit Künstler*innen und Aktivist*innen diskutiert Filmwissenschaftler Marc Siegel über aktuelle ökologische, politische und künstlerische Widerstandspraktiken. Zu Themenkomplexen wie AIDS und queeres Begehren, ökosexuellem Aktivismus und die Möglichkeiten neuer utopischer Räume sprechen > Heather Davis (27.7.), > Bishnupriya Ghosh, Bhaskar Sarkar, Rehana Zaman und Ed Webb-Ingall (12.8.) und > Club des Femmes (So Mayer, Selina Robertson) (18.8.).

Das filmische Rahmenprogramm in Kooperation mit dem Kino Arsenal präsentiert einige Filme von Derek Jarman sowie ein queeres, feministisches, subversives und futuristisches Kurzfilmprogramm aus den 1980er und 90er Jahren und der Gegenwart: The Garden (Derek Jarman, 1990) 23.7., 26.7., 2.8., 9.8. & 16.8. | Blue (Derek Jarman, 1993) 4.8. & 18.8. | The Last of England (Derek Jarman, 1987) 28.7. & 11.8. | Garden of Luxor (Burning the Pyramids), 1973) 21.8. | Absolutely Positive (Peter Adair/Janet Cole, 1991) 8.8. | AIDS Walk in Central Park (Milena Gierke, 1995) 8.8. | Aus der Ferne - The Memo Book (Matthias Müller, 1989) 13.8. | Poison (Todd Haynes, 1990) 13.8.

> Lochkamera-Workshop: Kunst und Kompost
Der Workshop von Dagie Brundert bietet Teilnehmer*innen die Möglichkeit, sich ihre eigene Lochkamera zu basteln und zu verstehen, um im Garten des silent green Aufnahmen auf Negativfilm zu machen. Aus mit individuell aus Essensresten hergestelltem Bioentwickler werden anschließend Positivabzüge hergestellt, die als eigene kleine Ausstellung in den Garten integriert und damit temporär wieder zu einem Teil der Natur werden. (24./25.7)

> Lesung + Sound-Übertragung: Approaching THE GARDEN as documentary practice…
In einer Kombination aus Lesung (Philip Scheffner, live aus dem Garten des silent green in Berlin) und field recordings (Peter Cusack, live aus dem Garten von Derek Jarman in Dungeness) überlagern sich verschiedene Zeit- und Erzählebenen der körperlichen und gedanklichen Annäherung an einen utopischen Ort: THE GARDEN. (25.7.)

Interview: Prospect Cottage und der Gärtner Jonny Bruce
Zu Beginn der Ausstellung wird Peter Cusack vor Ort in Dungeness sein. Er wird dort Zeit verbringen, um die Klanglandschaft (Aufnahme und Live-Streaming) dieser einzigartigen Landschaft zu erkunden und auch, um mit den Menschen dort zu sprechen. Voraussichtlich am Nachmittag des 3. Augusts findet ein Gespräch mit Jonny Bruce statt, der in den letzten Jahren den Garten von Prospect Cottage gehegt und gepflegt hat. Er wird über seine Arbeit sprechen und wie sich die Dinge im Laufe der Jahre verändert haben. Sowie über Dungeness als Ort. Das Gespräch wird anschließend in der Ausstellung zu hören sein.

> Spaziergang & Kino: Kiss the Moment, it’s Not a Pyramid!
Dagie Brundert lädt dazu ein, mit ihr über das Gelände zu spazieren und über Phenole, Transite, Biogebräu, Schwarzweißentwicklung, Kompost und geteilte Moleküle zu sprechen. Ab 21:30 Uhr zeigt sie einige ihrer Kurzfilme, entwickelt in verschiedenen Pflanzensuppen. Mehr zum Programm

Arsenal Summer School 2021 – Derek Jarmans Garten: Kollaboratives Arbeiten und der Blick des Facettenauges

Auch die diesjährige Arsenal Summer School wird sich mit Derek Jarman und seinem Garten beschäftigen. Neben den Künstler*innen und Kurator*innen der Ausstellung werden einige von Jarmans langjährigen Freund*innen und Kollaborateur*innen über seine Arbeit sprechen. Mit der Kostümdesignerin Annie Symons, dem Künstler Peter Fillingham und dem Produzenten James Mackay, unterstützt von der Autorin und Dichterin Mary Katharine Tramontana.

Weitere Details zu den Programmpunkten

 

THE GARDEN ist ein Projekt der silent green Film Feld Forschung gGmbH. Die begleitende Filmreihe erfolgt in Kooperation mit dem Arsenal - Institut für Film und Videokunst e.V.
Künstlerische Leitung: Bettina Ellerkamp, Jörg Heitmann, Stefanie Schulte Strathaus
Kurator Gesprächsreihe: Marc Siegel
Projektleitung: Bettina Ellerkamp, Linda Winkler
Produktion Veranstaltungsprogramm: Merlind David
Kommunikation: Hannah Osenberg
Gestaltung: José Délano
Technische Leitung: Christoph Andrich, Jonas Hinz, Kay Bennet Kruthoff
Ausstellungsbau: Simon Vierboom

 

Mit Unterstützung von Amanda Wilkinson Gallery, James Mackay und Keith Collins Will Trust.

Gefördert durch die

Gefördert von